Schockanrufe: Wie die Bankangestellte Petra S. einen Enkeltrick vereitelte (2024)

»Ich war völlig hilflos«

S. wirkt auch Wochen nach dem Vorfall noch betroffen. »Ich war völlig hilflos und musste dabei zusehen, wie jemand ins Verderben rennt«, sagt sie im Gespräch mit dem SPIEGEL. Der Mann sei so sehr im Tunnel gewesen, dass er gar nicht mitbekommen habe, was die Bankangestellte zu ihm sagte. »Das war schlimm für mich.« Petra S. ist für solche Fälle geschult worden. Aber wenn jemand die Bank mit seinem Geld verlassen will, dann darf er das eben. »Ich konnte ihn ja nicht festhalten.«

Immer wieder setzen Betrüger auf die perfide Unfallmasche. Allein die Mitarbeitenden der Volksbank Darmstadt Mainz haben in den vergangenen drei Jahren rund 50 Enkeltricks in den Filialen vereitelt – und somit einen Schaden von rund einer Million Euro abgewehrt. Doch in vielen Fällen klappt der Trick. Mit sogenannten Schockanrufen setzen die Täter ihre Opfer so stark unter Druck, dass jegliche Vernunft verpufft.

Oft mimt eine Schauspielerin am Telefon die Enkeltochter, schildert einen Horrorunfall und bittet um eine Kaution, um nicht ins Gefängnis zu müssen. Im Verlauf des Telefonats schalten sich weitere Schauspieler ein, geben sich als Polizeibeamte und Staatsanwälte aus. Mehrere Millionen Euro erbeuten die Täter jedes Jahr auf diese Weise. Genaue Fallzahlen liegen nicht vor. Beim Bundeskriminalamt werden Enkeltricks gemeinsam mit allen Betrugsfällen ausgewiesen. Und auch Bankenverbände haben keinen Überblick über die Fallzahlen in den Filialen. Doch klar ist: Es handelt sich fast immer um gewaltige Summen.

Das Geld ist in der Regel weg. Die Täter tauchen unter – und auch die Aussichten auf Schadensersatz von der Bank sind laut Jochen Sues gering. »So einen Prozess kann man locker verlieren und bleibt dann auf den Kosten sitzen«, sagt der Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht im Gespräch mit dem SPIEGEL. Wenn es schlecht läuft, kommen auch noch Prozess- und Anwaltskosten hinzu. Bei einem Streitwert von 100.000 Euro könne man mit rund 15.000 Euro rechnen, sagt Sues. »Wenn man verliert, wird der Schaden also noch größer.«

Zwar kann es vorkommen, dass Opfer im Rahmen eines Vergleichs einen Teil des Geldes von der Bank zurückbekommen. Ein Urteil aber wird es in absehbarer Zeit vermutlich nicht geben. »Banken wollen nicht, dass solche Fälle öffentlich werden«, sagt Sues. »Das wäre ein Massenschaden für Kreditinstitute.« Wenn Banken schlechte Karten haben in einem Prozess, dann werden Streitigkeiten oft außergerichtlich geklärt. Außerdem müsse man sich beim Enkeltrick immer klarmachen, dass man als Opfer den Schaden meist mitverschuldet hat und somit der Anspruch auf Schadensersatz schrumpft.

Eine Warnpflicht gibt es nicht

Laut dem Anwalt sind Bankangestellte keineswegs verpflichtet, im Verdachtsfall einzuschreiten und die Polizei zu alarmieren. »Eine Warnpflicht gibt es nur in Ausnahmen bei besonders krassen Fällen«, sagt Sues. Da müsse jemand Geld abheben mit Angstschweiß auf der Stirn, während finstere Gestalten vor der Filiale lauern. »Dann könnte man schon auf die Idee kommen, dass ein Betrugsversuch vorliegt.«

Stattdessen setzen die Banken vor allem auf Aufklärung und plakatieren Filialwände mit Warnpostern – und sprechen mutmaßliche Opfer direkt an. Außerdem teilt die Polizei unter anderem in Darmstadt und Mainz rote Umschläge aus, auf denen Kundinnen und Kunden auf die Gefahren möglicher Trickbetrüger hingewiesen werden. Doch die Volksbank verzichtet lieber auf diese Maßnahme. Eine Volksbank-Sprecherin sagt: »Kunden, die einen Schockanruf erhalten haben und entsprechend traumatisiert in unseren Filialen erscheinen, würden auf gedruckte Warnhinweise nicht achten.«

Laut einem Sprecher des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands sind die Bankangestellten darauf sensibilisiert, vor allem ältere Menschen anzusprechen, die viel Geld abheben wollen. »Besonders bei langen Kundenbeziehungen kann dies auffallen«, sagt der Sprecher. »Dennoch ist es immer wieder zu Betrugsfällen gekommen, die nicht verhindert werden konnten.« Der Grund: Viel passiere außerhalb des Einflussbereichs der Banken.

Wenn jedoch eine mögliche Straftat in der Filiale vermutet wird, dann wird das Bankgeheimnis ausgehebelt, und die Mitarbeitenden sind angewiesen, eine Strafanzeige zu erstatten. Enkeltrickbetrüger setzen in der Regel auf Bargeld und nehmen das Übergaberisiko in Kauf, weil sich die Spur schnell verliert. Bei Onlineüberweisungen lässt sich ein Betrug deutlich einfacher erkennen als bei einer Bargeldabhebung. Die Prüfsysteme der Banken reagieren beispielsweise auf verdächtige Überweisungen hoher Beträge, die ins Ausland transferiert werden.

Die Polizei erwischte nur drei Botinnen

Petra S. reagiert rechtzeitig. Nachdem der Senior mit dem Bargeld die Bankfiliale der Volksbank Darmstadt Mainz verlässt, alarmiert sie die Polizei. »Normalerweise dürfen wir Kundendaten nicht herausgeben«, sagt S. »Aber der Fall war so eindeutig für mich, dass ich nicht gezögert habe.« Die Beamten fahren mit Blaulicht zum Haus des Opfers. Dort ist aber niemand mehr. Der Mann sitzt bereits im Auto und ist auf dem Weg nach Frankfurt am Main. Die Polizei verfolgt das Opfer heimlich.

Zivilbeamte beobachten später, wie der Senior einer Frau vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft den Geldumschlag übergibt. Als die Geldbotin mit einem Taxi flüchten will, schlägt die Polizei zu. Drei Frauen im Alter von 15, 25 und 33 Jahren werden festgenommen. Die Beamten stellen bei einer Wohnungsdurchsuchung außerdem SIM-Karten, Handys und Bargeld sicher.

Für die hessische Kriminalpolizei ist das nur ein kleiner Trost. Zwar laufen Ermittlungen gegen die Botinnen wegen versuchten Betrugs. Aber sie stehen in der Hierarchie unten. Die Hinterleute sitzen oft im Ausland und sind nur schwer ausfindig zu machen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Opfern hat der 75-Jährige dank Petra S. sein Geld zurück. Am Tag nach der Geldübergabe betrat er erneut die Bankfiliale, brachte Petra S. einen Blumenstrauß mit und bedankte sich. »Ich freue mich, dass alles glimpflich ausgegangen ist«, sagt Petra S.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Artikels wurden Schockanrufe mit dem klassischen Enkeltrick gleichgesetzt. Tatsächlich besteht der klassische Enkeltrick darin, dass sich jemand am Telefon oder per SMS als Enkel oder Enkelin des Opfers ausgibt. Schockanrufe sind eine vergleichsweise neue Variante, die sich aber ebenfalls häufig gegen Ältere richtet, denen weisgemacht wird, dass zum Beispiel ihre Enkelin in einen Unfall verwickelt ist. Wir haben den entsprechenden Satz präzisiert.